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Staatstrojaner: Geheimjustiz statt Rechtsgrundlage im Kanton Zürich

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In der Schweiz gibt es für Staatstrojaner bislang keine Rechtsgrundlage. Wer heute schon Trojaner einsetzt und genehmigt, verspottet deshalb unseren demokratischen Rechtsstaat.

Polizei und Staatsanwaltschaft im Kanton Zürich, mit Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP) an der Spitze, beschafften trotzdem die staatliche Schadsoftware «Galileo» beim italienischen Hacking Team – und wurden dabei erwischt, nachdem Hacking Team selbst gehackt worden war … Mario Fehr und andere Behördenmitglieder bevorzugen übrigens den Neusprech «GovWare», kurz für «Government Software».

Irreführende Berichterstattung in den Medien

Beschaffung und Einsatz der Schadsoftware aus Italien wurde im Zürcher Kantonsrat von einer Subkommission der Geschäftsprüfungskommission (GPK) untersucht. Ende Mai 2016 veröffentlichte die GPK den entsprechenden Bericht (PDF). Glaubt man den Schlagzeilen in den Medien, so hatte sich Regierungsrat Fehr «ans Gesetz gehalten» (inside-it.ch), «nicht gegen geltendes Recht verstossen» (20 Minuten) und wurde «entlastet» (Tages-Anzeiger) – die Behörden hätten «ordnungsgemäss […] gehandelt» (Neue Zürcher Zeitung, NZZ).

Die Frage der Rechtsgrundlage wurde durch die GPK allerdings gar nicht geprüft, wie es im Bericht ausdrücklich heisst:

«Demnach kann es nicht Aufgabe der Geschäftsprüfungskommission sein zu entscheiden, ob für den Einsatz der GovWare eine genügende Rechtsgrundlage besteht. Dieser Entscheid ist den Gerichtsbehörden vorbehalten. […]»

Journalisten, die im Widerspruch dazu Schlagzeilen wie die oben zitierten verfassen, verspielen ihre Glaubwürdigkeit. Sie provozieren «Lügenpresse»-Vorwürfe und schaden jenen Berufskollegen, die ihre journalistischen Pflichten unabhängig und mit der erforderlichen Qualität erfüllen.

Brüchiger Rechtsstaat im Kanton Zürich

Im Übrigen zeigt diese Angelegenheit, wie brüchig der Rechtsstaat (auch) im Kanton Zürich geworden ist. Im Zentrum steht diesbezüglich das Zürcher Obergericht als höchstes kantonales Gericht, dessen Zwangsmassnahmengericht die Staatstrojaner-Beschaffung anscheinend genehmigt hatte:

«Ausgangspunkt für die Beschaffung der GovWare bildete die durch das Zwangsmassnahmengericht des Obergerichts genehmigte Anordnung der Staatsanwaltschaft zur Durchführung von Überwachungsmassnahmen. Die Prüfung der Beschaffung und die Evaluation erfolgten durch die Kantonspolizei nach Rücksprache mit der Sicherheitsdirektion. […]»

Die entsprechenden gerichtlichen Verfügungen wurden bislang nicht veröffentlicht und durften selbst von den Mitgliedern der Subkommission nicht gelesen werden. Nach Angaben im Bericht konnten lediglich der Kommissionsvorsitzende und die Kommissionssekretärin Einsicht nehmen …

In diesem Zusammenhang überraschte es nicht, dass sich die Verantwortlichen bei Kantonspolizei, Sicherheitsdirektion und Staatsanwaltschaft davon überzeugt geben, es gäbe eine Rechtsgrundlage für Beschaffung und Einsatz von staatlicher Schadsoftware im Kanton Zürich. Ansonsten müssten die Verantwortlichen ihre Ämter niederlegen und sich einer strafrechtlichen Verfolgung stellen.

Im Ergebnis entziehen sich mit Verweis auf die obergerichtliche Geheimjustiz sämtliche Verantwortlichen im Kanton Zürich ihrer Verantwortung und die Gewaltentrennung wurde ausgehebelt:

Die Rechtsprechung erfolgt jenseits jeder Justizöffentlichkeit und erfüllt den Sicherheitsbehörden hinter verschlossenen Türen mutmasslich (fast) jeden Wunsch. Für die parlamentarische Aufsicht heiligt der Zweck die Mittel und sie verspottet unseren demokratischen Rechtsstaat anstatt die fehlenden Rechtsgrundlagen für Staatstrojaner deutlich anzuprangern – aber ein solches Ergebnis wäre, so der GPK-Bericht, «keine sinnvolle Option» gewesen, zumal die GPK den Einsatz von staatlicher Schadsoftware für «unerlässlich» hält – die GPK ist demnach befangen und konnte gar keinen unabhängigen Bericht verfassen.

Überwachungsstaat: Wenn der Zweck die Mittel heiligt …

Referendum gegen das revidierte Überwachungsgesetz BÜPF

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Ein Staat, für dessen Staatsgewalten der Zweck jenseits von Rechtsgrundlagen die Mittel heiligt, ist offensichtlich kein Rechtsstaat. Im Kanton Zürich wird teilweise nicht einmal mehr versucht, den Schein von Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismässigkeit zu wahren:

So fordert beispielsweise Daniel Jositsch (SP), immerhin Ständerat sowie Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht (sic!) an der Universität Zürich (UZH), dass die «Strafverfolgungsbehörden […] alle technischen Möglichkeiten zur Verfügung haben [sollen], die denkbar sind.»

Äusserungen dieser Art zeigen, wie stark der wachsende Überwachungsstaat den Rechtsstaat bereits ausgehöhlt hat. Ein Rechtsstaat zeichnet sich gerade dadurch aus, dass nicht alles, was möglich ist, erlaubt wird – dieses Verhältnismässigkeitsprinzip ist nicht nur rechtsstaatlich unabdingbar, sondern sollte auch als zwingendes Völkerrecht betrachtet werden.

(Auch via Luka Markić.)

Bild: Flickr/Massimiliano Calamelli, CC BY-SA 2.0 (generisch)-Lizenz.


Nachtrag: Nach Angaben von GPK-Mitglied Claudia Wyssen (SP) haben «sämtliche Mitglieder die Verfügung gesehen.» Nach Angaben im GPK-Bericht konnten lediglich der Kommissionsvorsitzende und die Kommissionssekretärin in die Verfügungen Einsicht nehmen:

«[…] Anfang Januar 2016 nahmen der Vorsitzende der Subkommission und die Kommissionssekretärin bei der Oberstaatsanwaltschaft Einsicht in zwei Verfügungen des Zwangsmassnahmengerichts des Obergerichts betr. Genehmigung von Überwachungsmassnahmen. […]»


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